Raum der Gegenwart (1930)
(László Moholy-Nagy und Alexander Dorner)Das Projekt
Im Zentrum des Projektes steht die Re_Konstruktion eines Raumkunstwerkes, der ‚Raum der Gegenwart‘ von László Moholy-Nagy (1895-1946). Die Entwürfe für das seinerzeit nicht realisierte Environment reichen in das Jahr 1930 zurück, als der ehemalige Meister am Staatlichen Bauhaus in Dessau für das moderne Museumskonzept von Alexander Dorner (Provinzialmuseum Hannover) den Auftrag zur Gestaltung eines Raumes für die Gegenwartskunst und -kultur erhielt. Moholy-Nagy hatte einen Entwurf für einen Museumsraum geliefert, der zu einem Meilenstein in der Geschichte der modernen Kunst und des modernen Ausstellungsdesigns erwuchs: Er stellt eine Pioniertat für die Kunst des Environments, der Neue Medien-Kunst, des Ausstellungsdesigns und der Museumsgeschichte dar. Dieses Raumkunstwerk wurde anlässlich des Bauhaus-Jubiläums im Jahre 2009 verwirklicht. Die umfangreichen Forschungsarbeiten wurde im Zuge einer Kooperation zwischen Kunstwissenschaft (Prof. Hemken) und Produktdesign/Ausstellungsdesign (Prof. Gebert) an der Kunsthochschule Kassel im Verbund mit einer Reihe von Forschern und Institutionen im Zeitraum von 2007-2009 realisiert. Die Konzeption, Leitung und Koordination hatten Gebert und Hemken inne. (Rundgang durch den Raum d. Gegenwart (VR- Videowalk)
Der Künstler
Der ungarische Bauhaus-Künstler László Moholy-Nagy zählt zu den innovativsten Kräften der Klassischen Avantgarde. Nicht nur als Meister am Staatlichen Bauhaus in Dessau auch in seinen späteren Jahren am New Bauhaus in den USA hat er durch eine Erneuerung der Bildsprache die Geschichte der modernen Malerei in entscheidender Weise befördert. Das Spektrum seiner Kunst beschränkte sich keinesfalls auf die traditionellen Kunstformen wie die Malerei und Plastik. Vielmehr erweiterte er die Bandbreite seines Schaffens um die Fotografie und den Film. Bereits in den klassischen Ausdrucksformen, Malerei und Plastik, lässt Moholy-Nagy sowohl eine ästhetische als auch konzeptionelle Radikalität erkennen. Auch in der Fotografie und im Film war er führend, wenn er die Abstraktion als eine konsequente Ausdrucksform in der Kunst zu etablieren suchte. Seine kameralose Fotografie, die Fotogramme, wie auch seine Fotografien u. a. auch mit Motiven des Dessauer Bauhauses und schließlich Filme wie ’Schwarz-Weiß-Grau‘ (1930) dokumentieren die Fortschrittlichkeit des Bauhäuslers.
Der Kustos
Der Raum der Gegenwart - ursprünglich von Dorner als »Raum für die moderne künstlerische Gestaltung unserer Gegenwart« bezeichnet - ist der erste multimediale Museumsraum im 20. Jahrhundert und damit eine Pioniertat sowohl für die Geschichte der modernen Kunst als auch für die des Museums. Der Oberkustos am Provinzialmuseum Hannover hatte seit Mitte der 1920er Jahre ein besonderes Museumskonzept realisiert: Er legte einen chronologisch Rundgang durch sein Museum an, wobei er jeden Raum einer künstlerisch-kulturellen Zeitspanne - Mittelalter, Renaissance usw. - zuordnete. Jeder dieser Räume wurden in eine spezielle Farbigkeit getaucht, wobei sich der Farbton an Bildwerken der jeweiligen Epoche orientierte. Dorner war der Auffassung, dass auf diese Weise das kollektive Lebensgefühl der entsprechenden Zeit authentisch und intuitiv nachvollziehbar sei. Den vorläufigen Abschluss der so genannten ›Atmosphäre-Räume‹ bildete das Kabinett für abstrakte Kunst, das der russische Konstruktivist El Lissitzky 1927/28 realisierte. Ein Jahr zuvor hatte Lissitzky bereits einen ähnlichen Raum auf der Internationalen Kunstausstellung in Dresden ausgeführt.
Nach Realisierung des Kabinetts der Abstrakten hegte Dorner bald den Wunsch, einen weiteren Raum folgen zu lassen, der die aktuellsten Entwicklungen der Kunst und Gestaltung der Gegenwart sollte. 1930 in Paris die Abteilung des Deutschen Werkbundes auf der Ausstellung der Société des artistes décorateurs Walter Gropius und eine Reihe von Weggefährten aus dem Dessauer Bauhaus. Dorners Augemerk fiel insbesondere auf den Saal 2 der Moholy-Nagy entworfen Design und Bühne am Bauhaus behandelte. Imposant war dieser Raum durch den gezielten Einsatz von Licht und moderne Bildformen wie Fotografie, Dia und Film. Der Performationsgrad dieses Raumes muss auch Dorner erreicht haben, denn nur wenig später Moholy-Nagy einen vergleichbaren Raum für Hannover zu fertigen, als fulminanten Höhepunkt des Rundganges durch die Atmosphäreräume. Nachdem Moholy-Nagy für den Auftrag gewonnen werden konnte, orderte Dorner zahlreiche Exponate und Apparaturen von der Pariser Ausstellung, was nicht immer von Erfolg gekrönt war, wie entsprechende Briefwechsel verraten. Eine Reihe von Apparaturen wurden eigens für die Präsentation im Provinzialmuseum gefertigt werden: Endlosband, Objektständer, Wandvitrinen, ein Lamellenbild und eine Textwand.
Ein gravierender Unterschied zum Kabinett der Abstrakten war die Neugewichtung von Original und Reproduktion. Dorner wollte hier keine originalen Kunstwerke mehr ausstellen. Er hielt die technische Reproduktionen von Bildwerken für ausreichend, denn er wollte im neuen Raum vor allem über die kulturellen Entwicklung der Industriegesellschaft informieren und aufklären. An dieser Stelle werden bereits frappante Unterschiede zwischen denn Dorner und Moholy deutlich: Während es dem Museumskustos um eine Darlegung und Beweisführung seiner Thesen, mithin um seine Weltanschauung ging, hatte der Künstler eine grundlegende Bestandsaufnahme der Erscheinungsformen des modernen, das heißt technisch hergestellten Bildes im Sinn. Eine solche Divergenz musste zwangsläufig zu einer Kontroverse führen.
Das Raumkunstwerk/der Museumsraum
Beflügelt und getragen vom technischen Fortschritt konzentrierte sich Moholy-Nagy in gleichem Maße auf die Innovationskraft der modernen Kunst. Die Zukunft hieß Licht, Kinetik und Raum; Kategorien, die sein Streben in allen Ausdrucksmedien von der Malerei und Plastik über die Fotografie zum Film prägen sollten. Auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens wurde der Bauhäusler beauftragt, einen Museumsraum der Gegenwartskunst zu entwerfen, der auf Originale verzichten und allein Reproduktionen präsentieren sollte. Der ‚Raum der Gegenwart‘ gewährte einen Einblick in die Kunst der Zukunft, die gänzlich auf das handwerklich gemalte, statische Bild verzichtete und nur noch ‚neue Medien‘ und kinetische Objekte zuließ. Zugleich avancierte der Raumentwurf zu einem Manifest des Künstlers, der sein künstlerisches Programm in einem Raumkunstwerk für die Öffentlichkeit zu veranschaulichen suchte: Filmprojektionen, Fotografien, kinetische Wände und schließlich der sogenannte ‚Licht-Raum-Modulator‘, der in den Jahren von 1922 bis 1927 als Lichtrequisit einer elektrischen Bühne von der AEG in Berlin finanziert und projektiert wurde, erwies sich bald als Kernstück der Kunst Moholy-Nagys. Die ästhetische Verdichtung von Licht, Raum und Bewegung wurde in dieser kinetischen Plastik zur Perfektion gebracht und schließlich im Film ‚Schwarz-Weiß-Grau‘ in einem anderen Ausdrucksmedium erneut thematisiert. Die Kunstbetrachtung sollte zu einer neuen Form des Sehens geführt werden, das einer modernen industrialisierten Umwelt der Zukunft entsprechen sollte.
Die Bedeutung des ‚Raumes der Gegenwart‚ in einer Kurzfassung:
- Mischform zwischen Museumsraum und Raumkunstwerk
- Etablierung eines neuen Kunstbegriffs im Museum, der – wie seit längerem von den damaligen Avantgardisten gefordert – nicht mehr zwischen Original und Reproduktion, zwischen Hochkunst und Alltagskultur unterscheidet.
- Das Museum als Labor, in dem zeitgenössische Kunst- und Kulturinnovationen zur Diskussion gestellt werden
- Der Künstler als Erzieher und Wissenschaftler: Moholy-Nagy recherchierte und präsentierte eine Bildtypologie, die den Besucher zu einem ‚Sehtraining‘ animierte.
Der ‚Raum der Gegenwart‘ revolutionierte das Museum als konservative Institution. Trotz aller Reformbestrebungen etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging es bis dato stets um die Sicherung des vorhandenen Kunstbestandes: Ehrwürdige Wertvorstellungen wurden gepflegt, die das Kunstwerk mit der Aura des Wahren, Schönen und Guten umgaben. Die Präsentation der Kunstwerke gestaltete sich nicht selten als eine pseudosakrale und feudale Inszenierung von Objekten, die Raum und Zeit enthoben schienen. Moholy-Nagy räumte mit diesem Verständnis auf, indem er ausschließlich zeitgemäße künstlerische Ausdrucksmittel wie Fotografie, Film oder kinetische Objekte präsentierte. Er inszenierte einen Auraverlust und entsprach einem veränderten Kunstbegriff, der dem Artefakt vornehmlich als Instrument der Aufklärung und genauer als Werkzeug eines allgemeinen Sehtrainings im Industriezeitalter verstand.